Den einen Sitz einnehmen

 

Kürzlich war Zazenkai.

Zazenkai bei der Unsui-Zen-Gruppe in Zürich.

Wenn du diese Zeilen liest, dann ist dir Zazen ziemlich sicher ein Begriff.

So heißt die japanische Form der Sitzmeditation.

Bei Sitzmeditation denken die meisten: »Brutal langweilig!«

Es passiert rein gar nichts.

Du sitzt einfach nur still vor einer Wand.

Das war’s! Sonst ist nix!

Kannst du dir das vorstellen?!

Stundenlang vor einer Wand sitzen?! Freiwillig???!

Kai heißt einer der Köche vom Felsentor.

Zazenkai heißt aber nicht: »Sitzmeditation mit Kai, dem Felsentor-Koch«, sondern: »Zusammenkommen zur Sitzmeditation.«

Gemeinsam nichts tun!

»Haben die nichts besseres zu tun?«

»Sitz nicht einfach nur so rum! Mach was!«

Das kennen wir gut.

Aber stundenlang einfach nur dasitzen und nichts tun?

Warum machen Menschen sowas?

Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass wir so einen unruhigen Geist haben.

Wir haben einen Geist, der ständig auf der Suche ist nach Unterhaltung und Ablenkung.

Schau dich doch mal um: im Zug, im Bus, im Wartezimmer, auf dem Klo, in der Schlange vor der Kasse, … da sitzt (und steht) keine/r nur so ‚rum!

Beim ersten Anzeichen von Leerlauf, beim ersten Verdacht, dass da Langeweile auftauchen könnte, holen wir unser Smartphone raus, und fangen an zu checken: die Mails, die Nachrichten, unsere Social Media Accounts, den Wetterbericht, WhatsApp, Signal, die Börsenkurse, den Kontostand, die Fotos von gestern, die nächsten Zugverbindungen, unsere ToDo-List, die Paket-Nachverfolgung, … und dann gleich wieder von vorn.

Ganz egal was, aber bloß nicht einfach nur so da sitzen!

Aber mal ehrlich: Hilft das was? Macht es unser Leben besser? Sind wir deswegen glücklicher, wenn wir uns jederzeit ablenken und wegbeamen können?

Eben!

Zazen ist die Kunst, einfach nur ruhig dazusitzen.

Der amerikanische Meditationslehrer Jack Kornfield hat es einmal sehr schön beschrieben, was wir da machen. Er nennt es »den einen Sitz einnehmen«:

Wenn wir den einen Sitz
auf unserem Meditationskissen einnehmen
werden wir unser eigenes Kloster.
Wir schaffen den mitfühlenden Raum,
der das Entstehen aller Dinge zulässt:
Kummer, Einsamkeit, Scham, Verlangen,
Bedauern, Frustration und Glück.

– Jack Kornfield

 

Wow! Kannst du dir das vorstellen?!

Da ist ein Raum, »der das Entstehen aller Dinge zulässt«!

Hier geht es nicht um das, was wir wollen.

Hier darf sein und betrachten wir einfach nur staunend das, was in unserem Bewusstsein gerade auftaucht!

Und es spielt eigentlich keine so große Rolle, ob es sich um Kummer und Frustration, oder um Freude und Glück handelt.

Jack Kornfield wiederum war Schüler des thailändischen Meditationsmeister Ajahn Chah (1918-1992). Der hat das, was wir da machen, so beschrieben:

Geh einfach in einen Raum und stell‘ einen Stuhl in die Mitte. Nimm Platz auf dem Stuhl in der Mitte des Raumes. Öffne alle Türen und Fenster. Und schau dir an, wer zu Besuch kommt.
Du wirst Zeuge aller möglichen Szenen und Akteure sein. Aller möglichen Versuchungen und Geschichten. Alles wird auftauchen, was man sich nur vorstellen kann.
Deine einzige Aufgabe ist es, auf deinem Platz zu bleiben.
Du wirst sehen, wie alles entsteht und vergeht.
Und daraus wird Weisheit und Verständnis erwachsen.
– Ajahn Chah

 

Normalerweise gibt es viele verschiedene Sitzplätze, die wir einnehmen können.

Unendlich viele verschiedene Blickwinkel und Perspektiven.

Keine zwei sind gleich.

Das ist der normale Modus.

Doch da ist dieser eine Sitz. Den wir beim Zazen – oder wann immer wir wollen! – einnehmen können.

Der Sitz, bei dem es nicht um Wollen oder Nicht-Wollen geht.

Das Zazenkai in Zürich war eine Gelegenheit, um gemeinsam diesen einen Sitz einzunehmen.

Aber du kannst ihn jederzeit einnehmen, wann immer du willst. Wo immer du willst.

Am besten hier und jetzt.