Das wilde Pferd zähmen

 

Es ist früh am Morgen.

Ich sitze gerade auf meinem Meditationskissen.

Der Plan ist: still sitzen. Zu mir kommen. Den Geist sammeln.

Aber: Der Geist will nicht. 

Er hat gerade andere Pläne.

Er will sich nicht auf den Atem konzentrieren!

Er will unbedingt weg. Irgendwo anders hin!

Er will davonstürmen.

Wie ein wildes, störrisches, ungezähmtes Pferd.

Wo willst du hin, liebes Pferd?

Was beschäftigt dich?

Was ist so wichtig, dass wir uns jetzt nicht auf die Übung, auf den Atem konzentrieren können?

Verschiedenste Dinge und Themen, die sich in mein Bewusstsein drängen.

Lästige Gedanken, die sich meiner Aufmerksamkeit bemächtigen wollen.

Die mit meiner Aufmerksamkeit davon reiten wollen.

Und sich doch nur im Kreis drehen.

Ich seufze.

Und noch während ich seufze, fällt es mir auf:

Ach ja. Du bist ja auch noch da! 

Der Atem.

Jetzt sind wir alle zusammen! 

Das wilde Pferd. Das Bemühen um Sammlung. Der Atem. Und mein Gewahrsein.

Für einen Moment dürfen wir alle gleichzeitig da sein.

Ich spüre die Wärme der ineinander gelegten Handflächen.

Und ich stelle mir vor, dass das die beiden Kräfte sind, die da gerade in mir um Aufmerksamkeit ringen. Die beide beachtet werden wollen. 

Hier, das wilde Pferd. Die ungezähmten, widerspenstigen, eigensinnigen Gefühle und Gedanken, die am liebsten davon galoppieren würden.

Und dort das Bemühen um Sammlung und Konzentration, das auf seinen Moment wartet.

Für einen Augenblick treffen sie sich. Sind beide gleichzeitig da. Dürfen beide da sein. Sich begegnen. Berühren sich.

Und plötzlich spüre ich es auftauchen: Ein Gefühl von intensiver, lebendiger Wachheit. Und vor allem: von nachlassender Spannung.

Das Pferd kämpft nicht mehr, bäumt sich nicht mehr auf, sondern beruhigt sich und fängt an, friedlich zu grasen.

Aus dem Bemühen um Konzentration wird ein Gefühl von Frieden und Versöhnung, das sich in meinem ganzen Körper ausbreitet.

Wow!

Es ist immer wieder ein Wunder, was da auf dem Kissen geschieht.

Bist du heute schon gesessen?