Was mir am Zen besonders gefällt, ist der hohe Stellenwert des ganz normalen, scheinbar banalen Alltagslebens.
Ja, genau!
Die quengelnden Kinder. Der Bus, der nicht kommt. Die Schlange an der Kasse. Die nicht enden wollende Flut an E-Mails. Der überquellende Mülleimer.
All das ist unser Übungsfeld!
Und mir gefallen auch diese „ganz normalen“, aber doch so außergewöhnlichen Figuren, die immer wieder in den Zen-Geschichten auftauchen – wie der Laie Pang.
Einer der ersten Vertreter dieser illustren Gruppe herausragender Laien war Vimalakirti, ein Zeitgenosse Buddhas.
Vimalakirti war kein ordinierter Mönch, sondern ein sogenannter „Haushälter“. Also jemand, der ein weltliches Leben führte: erfolgreicher Geschäftsmann, Familienvater – und zugleich ein spirituelles Kraftwerk.
Innerhalb der buddhistischen Gemeinschaft genoss er nicht nur Ansehen, sondern tiefen Respekt.
Und er hatte ein Talent dafür, selbst die erfahrensten Mönche mit seinen Fragen ins Wanken zu bringen – vor allem jene, die glaubten, sie hätten den Dharma durchschaut.
Eines Tages fand wieder einmal eine große Versammlung statt, bei der Buddha den Dharma darlegte. Doch Vimalakirti konnte nicht teilnehmen – angeblich, weil er krank war.
Buddha bat nacheinander zehn seiner besten Schüler, den kranken Vimalakirti zu besuchen.
Und was geschah?
Alle weigerten sich! Sie hatten Angst, sich vor ihm zu blamieren.
Kannst du dir das vorstellen?
Nicht einmal die anwesenden Bodhisattvas wagten es, zu ihm zu gehen. Nur einer erklärte sich bereit: Manjushri, der Bodhisattva der Weisheit.
Als Manjushri Vimalakirti besuchte, stellte er ihm eine einfache, aber tiefgehende Frage: „Wie verstehst du die wahre Natur der Realität?“
Und was tat Vimalakirti?
Er antwortete mit Schweigen.
Doch es war kein beklommenes Schweigen. Kein verlegenes Schweigen des Unwissenden. Es war ein „donnergleiches“ Schweigen.
Was bedeutet dieses donnergleiche Schweigen?
Vimalakirti zeigte damit, dass die tiefste Weisheit unaussprechlich ist. Worte können sie nicht erfassen. Sie muss erfahren werden – direkt, jenseits aller Konzepte und Vorstellungen.
Und was heißt das für uns?
Könntest du dir vorstellen, die Dinge, die dir begegnen, nicht immer zu analysieren? Sie einfach mal so stehen zu lassen, wie sie sind?
Die quengelnden Kinder. Der Bus, der nicht kommt. Die Schlange an der Kasse. Der überquellende Mülleimer.
Das alles ist kein Hindernis – es ist unser tägliches Übungsfeld!
Die Frage ist: Wie gehen wir damit um?
Ein Text, den mir Vanja kürzlich geschickt hat, fasst es schön zusammen. Er stammt von der Teezeremonie im Zendo am Fluss (wahrscheinlich vom japanischen Teemeister Sen no Rikyū):
Der wahre Zweck des Teeweges liegt darin,
Inmitten von Aufruhr im Frieden zu sein,
Inmitten von Kummer Freude zu empfinden,
Und in dieser unvollkommenen Welt
Ein bisschen Schönheit und Harmonie
Zu genießen.
Vielleicht ist es ein bisschen wie im Supermarkt: Du schiebst den Einkaufswagen durch die Gänge, weichst Hindernissen aus, lässt dich nicht von Sonderangeboten ablenken, bleibst freundlich – und findest vielleicht sogar ein Lächeln für andere.
Zen ist nicht viel anders. Der Alltag ist unser Spielfeld. Jeder Schritt, jede Handlung lädt uns ein, achtsam und präsent zu sein.
Vimalakirti ist für mich ein Leuchtturm im Nebel des Alltags. Wie würde er in dieser Situation reagieren?
Alles, was du brauchst, ist schon da. Mitten im Chaos. Mitten im Lärm. Mitten in dir.
Bist du heute schon gesessen?